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05.08.2015

Die Stunde der Propheten

Im Zusammenhang mit Industrie 4.0, der allmählichen Durchdringung der Produktion mit cyber-physischen Systemen und ihrer Vernetzung treten jetzt mehrerlei Propheten auf den Plan. Diese zeichnen sich nicht unbedingt durch vertiefte Sachkunde aus, sondern eher durch die Unbekümmertheit, mit der sie ihre Meinung zum Ausdruck bringen. Eine spezielle Variante eines Propheten fiel mir auf, als ich das an sich sehr lesenswerte Magazin COO der internationalen Beratung von Roland Berger las.

Ein externer, nicht zum Beratungshaus gehörender Essayist fantasiert davon, dass Erfahrung, Fachwissen und die Fähigkeit, angemessene Entscheidungen zu treffen, in die Systemlogik der cyber-physischen Systeme direkt eingebettet werden. Auch Selbstlernmechanismen werden etabliert, um die „optimale“ Produktionsentscheidung treffen zu können. Das würde natürlich zu erheblichem Arbeitsplatzabbau führen, so der Essayist.

Leider beschreibt der Autor, nach seiner eigenen Einschätzung ein angesehener Berater, nicht, wie seine Vision realisiert werden soll. Um es klar zu sagen: Expertin oder Experte wird man durch jahrzehntelange Befassung mit einem Thema von allen Seiten und weil man über ein Werkzeug mit beeindruckenden Eigenschaften verfügt: das menschliche Gehirn. Es klassifiziert automatisch unter Hinzunahme von Kontextinformationen alle Erfahrungen, verbindet sie mit dem vorhandenen Fachwissen, hält Mechanismen für den Umgang mit großen Informationsmengen bereit und verfügt über hocheffiziente Update-Routinen wie etwa das Vergessen überholter Regeln und Techniken.

Die oben beschriebene Vision würde nur dann wahr werden können, wenn die cyber-physischen Systeme über die Eigenschaften des menschlichen Gehirns verfügen würden und die vorhandene Expertise von Expertinnen und Experten auf die Maschinen übertragen werden könnte. Davon kann trotz aller Fortschritte bei Hard- und Software derzeit noch keine Rede sein.

Die Kochrezepte, die der IBM-Supercomputer „Watson“ automatisch erzeugt hat, sind genießbar - aber langweilig. Menschen hingegen verfügen über Kreativität und grenzen sich durch diese Eigenschaft nach wie vor von technischen Systemen ab.