22.10.2018
VW verspielt unsere Zukunft
Der Volkswagen-Konzern hat in im September 2018 eine strategische Kooperation mit Microsoft begonnen, die sowohl in Deutschland, als auch in den USA mit gemeinsamen Büros und Entwicklungsanstrengungen verbunden ist. Kernstück der Kooperation aber ist, dass Volkswagen mit der Cloud-Plattform Microsoft Azure zunächst für seine Kernmarke VW eine Basis schaffen will, um Fahrzeuge miteinander zu vernetzen. Ab 2020 werden demnach jährlich bis zu fünf Millionen VW ihre Daten über Azure beziehungsweise Microsoft IoT Edge austauschen. Ist das Projekt erfolgreich, sollen andere Marken des Konzerns – beispielsweise Audi, Seat oder Skoda – folgen. Zusätzlich will Volkswagen seine gesamten Mobilitätsdienstleistungen wie zum Beispiel Car Sharing, Navigationshilfen, Parkplatzsuche mit Hilfe der Azure-Plattform auf eine globale, skalierbare Basis stellen.
Zunächst einmal ist es faszinierend mitzuerleben, wie sich Cloud Computing weiterentwickelt. Von der Alternative zum klassischen OnPrem-Betrieb wird die Cloud immer stärker zur Plattform, über die Produkte neue Eigenschaften als Services beziehen. Das gilt für das vernetzte Fahrzeug ebenso wie für das Smart Home oder für Produktions- und Logistikszenarien im Internet der Dinge. Algorithmen und Daten, die über die Cloud bezogen werden, geben damit dem physischen Produkt zusätzliche Funktionen. Und mehr noch: Über die Cloud können Updates bereitgestellt werden, ohne dass Fahrzeuge in die Werkstatt müssen oder Industrieunternehmen lange Wartungszeiten in Kauf nehmen müssen.
Cloud Computing und Digitalstrategien sind also zwei Säulen für die Zukunftssicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Umso mehr befremden die Aussagen von VW-Chef Herbert Diess in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zur Ankündigung der Kooperation mit Microsoft. So behauptet der VW Chef, der nach eigener Aussage nicht aus der IT kommt, dass es in Deutschland und in Europa nicht im notwendigen Maß eine IT-Industrie gibt, die in der Lage wäre, VW umfassend genug bei seinen Vorhaben zu unterstützen. Daher verbündet sich VW jetzt ausgerechnet mit Microsoft, um Daten aus dem Auto in der Cloud zu speichern und neue Dienste zu entwickeln.
Ich halte dies für eine weitgehende Kapitulationserklärung und den Beginn des Abstiegs vom größten Automobilhersteller der Welt zu einem vermutlich staatlich gepäppelten Mitläufer im Wettbewerb nach französischem Vorbild. Warum das so ist, hat mindestens fünf Gründe:
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Microsoft ist nach meiner Auffassung einer der weniger innovativen Anbieter von IT. Getrieben durch den Wunsch nach weiteren monatlichen Abo-Kunden wird man VW viele Versprechungen gemacht haben - ob diese erfüllbar ist, bleibt offen.
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Die Software definiert in Zukunft nahezu 100 Prozent der kundenrelevanten Eigenschaften des Fahrzeugs. So einen außerordentlich wettbewerbsrelevanten Aspekt so leichtfertig aus der Hand zu geben ist schon mehr als grob fahrlässig. Wer garantiert denn, dass Microsoft mit den von VW bezahlten, erworbenen Wissen nicht zu anderen Pkw-Herstellern gehen wird? Wie gesagt, Microsoft braucht Abo-Kunden heute dringender denn je.
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Wichtigste wahrgenommene Eigenschaft bei neuen Produkten ist der sogenannte Ease of Use. Apple oder Amazon hätten niemals die heutige Bedeutung erreicht wenn sie nicht extrem großen Wert auf die sehr gute und intuitive Bedienbarkeit gelegt hätten. Microsoft ist im Endkundenbereich mit seinen Produkten mehrfach gescheitert, z.B. Handys, Suchmaschinen, Audioplayer. Und auch im Businessbereich ist Microsoft kein Vorreiter für Usability. Damit hat die neue Partnerschaft schon mal den wesentlichsten potentiellen Vorteil aus der Hand gegeben.
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Wo sollen denn die Daten der Millionen potentiellen Nutzer von VW gelagert werden? Doch hoffentlich nicht in Microsoft-Rechenzentren? Das würde erheblich Fragen über den möglichen Einsatz der Fahrzeuge, zum Beispiel im öffentlichen Dienst aufwerfen. Der neuste ACATECH Technik Monitor konstatiert eine hohe Empfindlichkeit der Verbraucher bei IT-Sicherheitsfragen. Das kann in Zukunft nicht unberücksichtigt bleiben.
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Die angeblich so unattraktive Ausstattung Deutschlands ist ein Märchen. An Dutzenden von Universitäten und Hochschulen wird Informatik und Wirtschaftsinformatik gelehrt. Bei uns in Potsdam bekommen Studierende die beste Informatikausbildung in Deutschland (an der Fakultät für Digital Engineering) und einen hochattraktiven Master in Wirtschaftsinformatik und Digitaler Transformation. Auch in Niedersachsen, im VW-Stammland, wo ich einige Jahre als Professor gearbeitet habe, gibt es hervorragende Partner, etwa das OFFIS.
Ein so großes Unternehmen wie VW hätte die Ressourcen, in Partnerschaft mit fortschrittlichen Universitäten und Forschungsinstituten die Grundlage für zukünftige inländische Wettbewerbsfähigkeit zu legen. Herr Diess, wann fangen Sie damit an?