07.06.2021
Wann sollte man im ERP-Projekt eine Datenübernahme machen?
Das Thema Datenübernahme aus Altsystemen ist in jedem Projekt, in dem neue Informationssysteme eingeführt werden, ein „emerging topic“. So bezeichne ich Themen, die lange Zeit kaum Beachtung finden, bevor sie dann ganz zügig gelöst werden müssen - häufig mit verhängnisvollen Fehlern. In diesem Blogeintrag erfahren Sie, wann und wie das Thema angegangen werden sollte.
Grundsätzlich ist die Frage berechtigt, ob man nicht einfach alle vorhandenen Stammdaten zu Artikeln, Arbeitsgängen, Kunden und Lieferanten (um diese geht es meistens) in das neue System übernimmt und dann dort die weitere Pflege der Daten übernimmt. Um es ganz klar zu sagen: vor diesem Schritt kann ich nur ausdrücklich warnen, er ist falsch. Dieses Vorgehen führt zwar zu schnell verfügbaren Stammdaten im neuen System, doch viele davon sind falsch, doppelt oder nicht mehr aktuell. Und kein Key-User wird jemals die Zeit haben, neben seiner normalen Arbeit auch noch in großem Umfang Datenpflege zu betreiben.
Zudem geht ein - notwendiger - Spannungsaufbau im Einführungsprojekt verloren und eine unglaubliche Chance zur Optimierung der Stammdaten wird vertan. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Kolumne verfügen nur äußerst wenige Informationssysteme über ausgereifte KI-Funktionen zum Stammdatenmanagement. Alle Anbieter haben sich zwar ein paar Importtools gebaut, diese sind jedoch für eine gründliche Bereinigung der Stammdaten völlig ungeeignet. Potsdam Consulting hat einige Werkzeuge entwickelt, um den Aufwand bei der sinnvollen und qualitätsgerechten Übernahme von Stammdaten ermitteln zu können. Häufig besteht sogar die Chance, die Stammdaten nicht nur geprüft, sondern auch angereichert ins neue System zu überführen. Damit können einige der Nachteile des alten Systems gleich ausgeglichen werden. So könnten bei Kunden und Lieferanten weitere klassifizierende Merkmale (z.B. Branche, Größe, sozio-demographische Merkmale, Bonität) hinzugefügt werden.
Gelingt dies, erzeugt das neue Informationssystem bereits ab Start einen Informationsvorsprung und macht somit einen guten Eindruck auf die neuen Benutzer. Da sehr viel Erwartungsmanagement bei der ERP-Einführung betrieben werden muss, ist das ein positiver Zusatznutzen.
Sollte Ihr Anbieter also ernsthaft vorschlagen, „einfach“ alle alten Daten in das neue Informationssysteme´zu überführen, bitte lehnen Sie das grundsätzlich ab. Es ist nur für den Anbieter nützlich, schneller ein „betriebsbereites“ System zu übergeben, das für Sie mehr Arbeit als vorher bedeutet.
Um meine Warnung erneut zu adressieren, nenne ich ein Beispiel. Ein Hersteller hochgradig individueller in Kleinserie montierter Produkte hatte ein Altsystem, bei dem Material und Arbeitsschritt untrennbar verknüpft waren. Ein zu schneller Anbieter überführte alle 460.000 Artikel-Arbeitsgänge ins neue System. Man hatte nun zwar ein neues ERP-System, konnte aber keines der Planungs- oder Dispositionsfunktionen nutzen, weil die Artikel schlicht nicht zusammengefasst werden konnten.
Daher: Sagen Sie nein zur automatischen Datenübernahme aus dem Altsystem!